56. Reikland-Altdorf-Palastdistrikt-Die Grosse Kathedrale
Erstaunlicher Weise kamen jetzt erst so langsam die Gefühle in Luthor hoch, was vermutlich an der schieren Wucht der quasi-religiösen Erfahrung zuvor lag.
Jetzt erst konnte er so langsam wirklich die Einzelheiten des Tempels aufnehmen, den Eindruck des Tempels auf sich wirken lassen.
Zuvor hatte die schiere Wucht der Impressionen ihn überwältigt.
Allerdings bargen die Einzelzeiten und Details des Tempels eine andere Gefahr als die schiere Wucht des Ersteindrucks, welche die Sinne einfach nur überreizte.
Luthor lief in Gefahr sich zu verlieren. So viele Bilder, so viele Einzelheiten, er hätte Stunden vor jeder einzelnen Säule verbringen können, Tage vor den großen Kunstwerken, ein ganzes Leben lang in diesem Tempel verbringen und über Sigmar meditieren.
Aber auch hier regte sich irgendwo tief drin etwas in Luthor. Es war keine Aversion, kein Unmut, keine Ablehnung - Luthor hätte das Gefühl weder korrekt beschreiben und schon gar nicht benennen können.
Bei all der Pracht und dem Eindruck, der Erhabenheit, der gefühlten Nähe zu Sigmar, den Einzelheiten, das sakrosankte Gefühl dieses Ortes, dieses Wunders der alten Welt, spürte Luthor dass ein Leben als Tempelpriester nicht das Seine war.
Luthor fühlte sich Sigmar nahe, aber auf eine irgendwie eingeschränkte Weise. Es fühlte sich seltsam an, an ein Leben im Dienste Sigmars als Tempeldiener zu denken, der Kerzen anzündete, Kollekten sammelte und Bürger beriet oder durch das Gebet führte.
Die Priester und Geweihten hier waren alle so...sauber.
Sauber, gepflegt, teilweise mit feisten Gesichtern gingen sie gemessenen Schrittes durch die heiligen Hallen.
Das erste Bild aber, dass Luthor durch den Kopf ging wenn er an einen Sigmarpriester dachte, war ein Priester inmitten einer Schlacht. Mit einem Hammer in der einen und einem Gebetsbuch in der anderen Hand, der den Glauben an Sigmar in seinen Kameraden beschwor während er die Feinde des Imperiums erschlug.
Zuerst hatte sich Luthor seltsam fehl am Platz gefunden, mit seinem Wappenrock, der sichtliche Spuren der verschiedenen Kämpfe trug - traurigerweise waren die meisten Spuren der letzten Zeit Luthors eigenes Blut - sowie seine sonstige Ausrüstung, vor allen die Waffen, die mannigfaltige Gesbrauchsspuren aufwiesen.
Luthor hatte sich dreckig und unwürdig gefühlt, nichtig im Angesicht dieses Tempels und seiner sauberen Kollegen.
Je länger Luthor sich hier aufhielt, desto sicherer wurde er aber seiner selbst.
Ja, er war nichtig im Angesicht der Pracht und Macht dieses Zentrums der Sigmarkirche.
Er war unwichtig im Gegensatz zu den Geweihten und Hohepriestern, dem Erzlektor selbst der durch diese Hallen schritt.
Aber - und das war der Punkt - Luthor war nicht unwürdig.
Er hatte sein Leben Sigmar geweiht, an der Spitze des Speers, er war der Hammer der auf die Feinde Sigmars niederging, sein Schild der Amboss auf dem sie zerschellten, er vergoss sein Blut - leider regelmäßig - für Sigmar und das Imperium der Menschheit.
Er wollte sich nicht anmaßen zu sagen was besser oder wetiger war, ein Tempeldienst in diesen erlauchten Hallen oder seine Reisen quer durch das Imperium, aber er hatte einfach einen anderen Weg gewählt und ihm wurde immer klarer, es war der richtige Weg für ihn.
Jeder Priester des Sigmar musste sich irgendwann entscheiden welchem der Orden Sigmars er beitreten wollte, oft bereits wenn er zum Priester selbst erhoben wurde.
Umständehalber hatte Luthor aber bisher die Entscheidung nocht nicht getroffen und war auch nicht in einen der Orden aufgenommen wurde. Er war aus dem Kloster in dem er als Waise aufgezogen war - im fernen, bäuerlichen und belächelnden Stirland - aufgebrochen um mehr von der Welt zu sehen und um seinen Weg zu finden.
Er war einen weiten Weg gegangen, symbolisch, theologisch, psychisch und physisch.
Vom jungen, unbedarften Initianten des Sigmar, der die ganze Welt retten wollte und jede einzelne Person, dessen Welt aus schwarz und weiß bestanden hatte, die Waise aus dem Stirland war er nun weit entfernt. Ein bisschen trauerte er der verlorenen Unschuld nach.
Sein Weg hatte in schließlich über Übersreik, Hugeldal, Averheim und Middenheim quer durch das Imperium bis nach Altdorf gebracht und ebenso hatte sich seine Einstellung gewandelt. Luthor war gewachsen, hatte Narben davon getragen.
Luthor war immer noch unbedeutend in den Kreisen der Sigmarkirche, aber war nicht unwürdig hier zu sein.
Dass er hier stand war der Endpunkt einer Reise, einer Entwicklung. Zugleich aber auch ein neuer Anfang, da Luthor nun wusste, welchem Weg er weiter folgen würde.
Dieser Ort war wichtig, damit Luthor endgültig klar wurde was er nicht wollte.
Er würde nicht dem Weg der Kerzen folgen, sondern dem Weg des Hammers.
Luthor atmete einige mal tief durch, er fühlte sich wie nach einer Katharsis und dankte Sigmar kniend vor einem Bildnis und kleinen Altar Magnus des Frommes, zu dem er Rupold gefolgt war.