[Kapitel III] - Zweifach
Frieder schaute durchaus nachdenklich der Truppe aus Shallya Schwester, groben Soldaten und weinendem Kind hinterher. Seine Versuche, die kleine Hannah zu trösten schienen vergeblich. Was wusste er auch schon von engen Familienbande.
Für ihn selbst unbemerkt glitt seine Hand an die Brusttasche seines Hemdes, erspürte die runde Form eines münzgroßen Gegenstandes. Der Knopf des Festkleides seiner kleinen Schwester Frieda. Er schmunzelte, klein war Frieda bestimmt nicht mehr, sie war ja bereits 19 Jahre, 13 Tage und 9 Stunden alt - sie war mitten in der Nacht geboren. Als sein strenger Vater ihn hinausgeworfen hatte, war sie gerade mal 5 gewesen, ein süßer Fratz, die sich immer auf dem Boden gelegt hatte vor Lachen, wenn Frieder seine Scherze und Scahbernack getrieben hatte. Eben einmal auch im Festkleidchen. So heftig hatte sie gelacht und sich am Boden gewälzt, dass der Knopf abriss und er ihn eingesteckt hatte.
Gedankenverloren wanderte die Hand weiter zu seinem Hals, zu jenem hellblauen Taschentuch, welches er als Halstuch nutzte, eine Erinnerung an seine liebevolle Mutter Berta. Welche Sorgen sie sich um ihn gemacht hatte, wieviel Kummer er ihr bereitet hatte. Und doch war ihre Liebe stets ein bedingungsloser Fakt, eine - vielleicht gar die einzige - Konstante in seinem flatterhaften Leben.
14 Jahre war das nun her seit er das letzte mal seine Familie gesehen hatte. 14 Jahre und 69 Tage. 30 Minuten hin oder her, er hatte nicht mal die dünne Mittagssuppe auslöffeln können als ihn sein Vater am Kragen gepackt hatte und ihm gedroht hatte niemals mehr einen Fuß über seine Schwelle zu setzen. 3 Tage nach Frühlingsbeginn. Friedhart, der älteste Sohn, war ihm hinterher gerannt, hatte ihm eine Jacke gegen den bitterkalten Wind gegeben, einem Wind, der das Schluchzen seiner Mutter an seine Ohren getragen hatte.
Und sein Messer, eben jenes Messer zu dem Frieders Hand inzwischen gewandert war, gefangen in der Erinnerung erfühlte sein Zeigefinger das eingeritze "Friedhart" im Griff. Das einzige Wort, das er lesen und schreiben konnte. Oder nachzeichnen.
Friedhart, der in unzählige Male zurück nach Hause gebracht hatte, wenn er wieder einmal ausgerissen war, um Auerswald zu erkunden.
Frieder besann sich, die Gruppe, der er hinterher gestarrt hatte war längst außer Sicht. Zu seiner Verblüffung bemerkte er, dass seine Wangen feucht waren. Regnete es etwa? Nein, es waren Tränen.
Frieder wischte sich das Nass hastig von den Wangen, räusperte sich, sammelte sich.
Als sich der Kartenspieler zu seinen Kameraden umdrehte, war nichts mehr anzumerken.
Das Alles war ein halbes Leben her.
Frieder lächelte.
"Osannas Büro ist gleich da vorne."
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