58. Reikland-Altdorf-Docks-"Natternwald"
Manfred war immer noch ziemlich verblüfft, dass er seinen alten Freund Grimmbart nach so langer Zeit wieder getroffen hatte. Und das ausgerechnet auch noch in Altdorf, der größten Stadt im ganzen Imperium, wenn nicht sogar auf der ganzen Welt ! Oder war Marienburg größer ? Er wusste es nicht, es war ihm auch egal.
Natürlich wurde durch das Wiedersehen alte Erinnerungen wach, Erinnerungen, die er eigentlich schon abgelegt hatte, die sich jedoch nun wieder in sein Bewusstsein drängten. Mit Gewalt.
Gewalt.
Unwillkürlich griff er seinen Stab fester bis die Knöchel hervortraten.
Sein Stab war vermutlich das Einzige, was von seinem früheren Leben übrig war. Waffenkenner würden sofort erkennen, dass dieser Stab weder eine einfache Stütze war, noch wirklich ein Kampfstab. Denn für ersteres war er viel zu gerade und fein geschliffen. Vor allem aber besaß sein Stab einen sechseckigen Querschnitt und Lederwicklungen an Stellen, die den Gebrauch als Kampfstab nicht wirklich nahe legten. Und ein Kampfstab hätte an beiden Enden Eisenverstärkungen. Sein knapp 2m langer Stab hatte jedoch nur an einem Ende eine Bronzekappe und das andere Ende war geborsten, was seine Funktion als Waffe jedoch keinesfalls einschränkte.
Manfreds Blick wanderte an jenes geborstene Ende, dort wo einst die eisernen Schaftfedern den Kopf gehalten hatten. Ein Kopf aus breiter Barte, kurzen Haken und einer spitz zulaufenden Klinge. Den Kopf einer Hellebarde. Jener Kopf, der bei seinem verzweifelten Kampf gegen die Goblinschar an der Verbindungstelle gebrochen war, da die Schaftfedern unzulänglich angebracht worden waren. Von seinem Freund Grimmbart.
Erst jetzt wurde ihm dieser Sachverhalt so wirklich bewusst. Er hatte in der ganzen Zeit keinen einzigen Gedanken daran verschwendet und hatte Ranald verflucht, und den Gott des Glücks (und Pechs) dafür verantwortlich gemacht.
Manfred versuchte diese düsteren Gedanken weg zu schütteln, doch so ganz sollte ihm dies nicht gelingen.
Es war lange vorbei und man konnte daran sowie nichts mehr ändern. Und dennoch nahm sich Manfred vor, eben diesen Stab zu seinem nächsten Wiedersehen mit Grimmbart dabei zu haben, und sei es nur, um zu beobachten, ob Grimmbart die Waffe wiedererkannte und die Bedeutung zu fassen. Wäre die Waffe nicht geborsten, wäre er sicherlich nicht in Gefangenschaft genommen worden.
Manfred schüttelte erneut den Kopf. Ohne nachzudenken hatte er den Zoll für die Brücke bezahlt ohne sich wirklich daran zu erinnern, denn so war Altdorf nun mal: alles kostete Geld. Und wenn es kein Geld kostete, dann eben einen Gefallen. Und wenn keinen Gefallen, dann eben gebrochene Knochen. Knochen, zunächst nur die Finger, dann die Handgelenke, die Unterarme, und so weiter. Wahrlich, Manfred kannte sich aus mit gebrochenen Knochen. Lange waren es seine Knochen gewesen, die geschunden wurden. Doch nun war er es, der den anderen die Konsequenzen von nicht beglichenen Schulden klar machte. Und wenn er mit den Opfern fertig war, waren nur noch wenige dazu imstande genauso weiter zu funktionieren wie die Reste seiner Hellebarde. Sie nannten ihn 'die Nase' und sie fürchteten ihn wie er einst die Messer der Goblins gefürchtet hatte, die eben diese Nase mit ihren schrillen kichernden Stimmen abgeschnitten hatten. Sie beließen es nicht bei der Nase, auch die Ohren wurden ihm abgeschnitten und sein ganzer Körper war überzogen mit Narben von den Schnitten, die sie ihm zugefügt hatten. Geradezu als ob sie sehen wollten, ob sein Körper härter war als das krude Metall ihrer Messer. Tag für Tag wurde der Beweis erbracht, dass keine Menschhaut härter sein konnte als Metall. Doch härter war er in der Tag geworden. Nicht der Körper, sondern die Seele.
Manfred schaute sich um, betrachtete die Schiffe die am Kai festgemacht waren, die geschäftigen Stauer, die die Schiffe be- und entluden. Mit einem kalten Lächeln fand er einen geeigneten Platz, um sich niederzulassen.
Heute war er nicht 'die Nase', heute war einfach nur ein armer Bettler, in graue Lumpen gekleidet, ohne Stiefel mit dreckigen geschundenen Füßen, das Gesicht unter einer großen Kapuze versteckt, die Ringe und die Kette angelegt. Er hatte lange als Bettler gelebt, er wusste Bescheid, niemand würde auch nur den leisesten Verdacht schöpfen.
Nein, heute würde er keine Knochen brechen, denn heute war er auf einer Jagd einer ganz anderen Natur: er suchte Informationen.
Manfred ließ sich an der Kaimauer nieder und wartete geduldig, und beobachtete.